Inhalt:
-Physiologische Veränderungen und Heilungsprozesse
-6 Vorteile eines schrittweisen Einstiegs und gezielter, sanfter Übungen
-5 Praktische Empfehlungen für einen nachhaltigen Wiedereinstieg
Die Geburt eines Kindes ist meist ein wunderbares Ereignis, das jedoch immense körperliche (und seelische!) Veränderungen und Belastungen für die Mutter mit sich bringt. Einige Frauen fühlen sich nach wenigen Wochen zwar wieder relativ fit, oder müssen aufgrund der vielen Anforderungen im Beruf, der Familie und der Care-Arbeit schnell wieder voll einsteigen und können nicht ausreichend heilen. Gemeinsam ist in allen Fällen jedoch, dass ein behutsamer, langsamer Aufbau essenziell ist. Dieser Blogpost erklärt, warum gezielte, sanfte Übungen nach der Geburt so wichtig sind und wie sie zur nachhaltigen Fitness und Gesundheit beitragen.
Physiologische Veränderungen und Heilungsprozesse
Während der Schwangerschaft und Geburt durchläuft der Körper der Frau erhebliche Veränderungen - hier sind einige wichtige aufgeführt:
1. Muskeln, Gewebe und Bänder: Die Muskulatur und die Bänder des Beckens und des unteren Rückens werden stark beansprucht. Durch das zusätzliche Gewicht und die hormonellen Veränderungen, die das Bindegewebe weicher machen, können sich diese Strukturen dehnen und schwächen.
2. Beckenboden: Der Beckenboden trägt während der Schwangerschaft viel zusätzliches Gewicht. Auch während der Geburt wird er stark beansprucht, besonders bei einer vaginalen Geburt. Ebenso kann auch nach einer Bauchgeburt der Beckenboden aufgrund des zusätzlichen Gewichts und der Schwangerschaftsbelastung geschwächt sein. Eine Studie von Bo et al. (2005) zeigt, dass gezielte Übungen notwendig sind, um die Funktion des Beckenbodens wiederherzustellen.
3. Rektusdiastase: Am Ende der Schwangerschaft haben alle Frauen eine physiologische Rektusdiastase, eine Dehnung der Linea Alba. Wenn diese nach der Geburt bestehen bleibt und eine gewisse Breite überschreitet, wird sie als pathologisch eingestuft und kann erhebliche Beschwerden verursachen. Sechs Monate postpartal betrifft dies noch immer 39 % der Frauen (Mota et al., 2015). Die Literatur diskutiert verschiedene Beschwerden, wie Rückenschmerzen und eine Schwächung der Beckenbodenmuskulatur, was das Risiko für Inkontinenz und Beckenorganprolaps erhöht. Sanfte und gezielte Übungen sind entscheidend, um die tiefen Bauchmuskeln zu stärken und die Heilung der Diastase zu fördern.
4. Hormonelle Veränderungen: Hormone wie Relaxin lockern die Gelenke und Bänder, um die Geburt zu erleichtern, was jedoch auch zu einer Instabilität des Beckens und der Wirbelsäule führen kann. Diese hormonellen Einflüsse bleiben oft noch Wochen nach der Geburt bestehen, insbesondere wenn die Mutter stillt, da die Hormonspiegel durch das Stillen länger hoch bleiben.
5. Kreislauf und Atmung: Das Herz-Kreislauf-System und die Atmung verändern sich ebenfalls während der Schwangerschaft. Der erhöhte Bedarf an Sauerstoff und die Veränderungen im Blutvolumen erfordern Anpassungen des Körpers. Nach der Geburt benötigt der Körper Zeit, um sich wieder auf den Normalzustand einzustellen. Das Zwerchfell, das während der Schwangerschaft nach oben gedrückt wurde, muss erst wieder richtig arbeiten können. Oft muss die richtige, tiefe Atmung (neu) erlernt werden, um die volle Funktionalität wiederherzustellen. Diese Veränderungen erfordern eine behutsame Rückkehr zur körperlichen Aktivität, um Überlastung und Verletzungen zu vermeiden.
6 Vorteile eines schrittweisen Einstiegs und gezielter, sanfter Übungen
1. Förderung der Heilung und Regeneration: Gezielte, sanfte Bewegungen unterstützen die Heilung, indem sie die Durchblutung fördern und den Körper sanft wieder an Bewegung gewöhnen. Sie verhindern Überlastung und Verletzungen.
2. Stärkung des Beckenbodens und CORE: Der Beckenboden spielt eine zentrale Rolle für die Stabilität und Funktion des Körpers. Übungen wie Kegels und sanfte Yoga-Posen helfen, diese wichtige Muskelgruppe zu stärken und Probleme wie Inkontinenz und Prolaps zu vermeiden.
3. Aufbau einer stabilen Grundlage: Die Coremuskulatur (inklusive Transversus Abdominis, Beckenbodenmuskulatur und Rücken) werden durch gezielte, sanfte Übungen reaktiviert. Dies stärkt die Muskel-Gehirn-Verbindung und bildet die Grundlage für spätere, intensivere Workouts. Ohne diese Basis können Fehlhaltungen und Kompensationen entstehen, die zu langfristigen Problemen führen. Diese Übungen mögen einfach erscheinen, sind aber essenziell, um langfristige Probleme zu vermeiden.
4. Vermeidung von Überlastung: Intensivere Übungen wie Planks belasten den Körper erheblich. Wenn die grundlegende Stabilität und Kraft noch nicht vollständig wiederhergestellt sind, können solche Übungen mehr Schaden als Nutzen bringen, indem sie den noch geschwächten Beckenboden und die Bauchmuskulatur überlasten. Ein behutsamer Einstieg schützt den Beckenboden und die Bauchmuskulatur vor unnötigem Stress und Verletzungen.
5. Langfristige Fitness und Gesundheit: Ein bewusster, sanfter Einstieg in das Training nach der Geburt fördert die nachhaltige Wiederherstellung der Fitness. Es ist ein Marathon, kein Sprint. Wenn du die Grundlagen richtig legst, wirst du schneller und sicherer zu intensiveren Übungen übergehen können, ohne Rückschläge zu riskieren. Mit Geduld und Konsequenz können langfristige Erfolge sicher und effektiv erzielt werden.
6. Seelische Anpassung und Erdung: Für mich fast am wichtigsten ist aber dieser Punkt. Das Mutterwerden bringt viele Veränderungen mit sich, sowohl körperlich als auch seelisch. Wir Frauen haben oft selbst an uns den Anspruch oder spüren von außen den Druck, möglichst schnell wieder zu „funktionieren“. Sanfte Übungen bieten aber die Möglichkeit, diese Veränderungen anzunehmen, sich zu erden und eine neue Verbindung zu sich selbst aufzubauen. Diese Zeit ist wichtig, um sich zu zentrieren und nicht voreilig zu handeln. Statt uns nur an körperlicher Fitness, der «Aussenansicht» zu orientieren und möglichst schnell den „alten“ Körper zurückzugewinnen, sollten wir diese Phase als Chance sehen, um Körper und Geist nachhaltig zu stärken und zu regenerieren.
5 Praktische Empfehlungen für einen nachhaltigen Wiedereinstieg
1. Gezielte Übungen: Beginne mit gezielten Übungen, um den Körper schrittweise auf intensivere Übungen vorzubereiten und die Kräftigung zu fördern. Im Rückbildungskurs findest du eine Auswahl von gezielten, funktionellen Übungen, die dir helfen, sicher und nachhaltig zu heilen und bieten die Grundlage, deine Fitness wieder aufzubauen.
2. Atemtechniken:
Die Atmung ist das A und O bei der sanften Rückbildung, da sie den Wiederaufbau einer starken Mitte unterstützt. Das Zwerchfell und der Beckenboden sind eng miteinander verbunden und arbeiten zusammen, um Stabilität und Kraft zu schaffen. Die 360° Zwerchfellatmung fördert eine vollständige Lungenexpansion und hilft dir, deinen Brustkorb und Bauch in alle Richtungen auszudehnen. Die aktive Core-Atmung lehrt dich, während der Einatmung eine gewisse Grundspannung in der tiefen Bauchmuskulatur zu halten, was den Wiederaufbau deiner Körpermitte und die Rückbildung unterstützt (darauf werde ich in einem späteren Blogpost noch genauer eingehen).
3. Sanfte, erdende Yogaflows: Integriere sanfte Yogaflows, um Körper und Geist in Einklang zu bringen, Entspannungen zu lösen und von innen heraus zu kräftigen. Diese Flows können bei der Wahrnehmung und Aufrichtung deiner Körperhaltung nach der Schwangerschaft helfen. Achtsame Bewegungen unterstützen auch die seelische Anpassung und Erdung nach der Geburt.
4. Regelmässigkeit und Achtsamkeit: Tägliche kurze Übungseinheiten sind effektiver als sporadische, intensive Workouts. Jeder Körper ist anders, und es ist wichtig, auf die Signale deines Körpers zu hören und das Tempo entsprechend anzupassen. Dies ist auch eine perfekte Gelegenheit, Achtsamkeit zu praktizieren und die Verbindung zu deinem Körper zu stärken.
5. Entspannung, Erholung und Alltagsintegration: Integriere entspannende Asanas, Meditation und regelmässige Pausen in deinen Alltag. Weniger Stress wirkt sich positiv auf die Rückbildung aus und hilft, Körper und Geist in Einklang zu bringen. Versuche, so viel Schlaf / Erholung wie möglich zu bekommen und gönne dir Pausen, um dich zu regenerieren. Ruhephasen sind wichtig, um die Energiereserven wieder aufzufüllen und zu regenerieren. Achte im Alltag auf beckenbodenschonendes Verhalten, wie richtiges Heben, Tragen, Aufstehen etc. um die Heilung zu unterstützen. Schau gut zu dir! <3
Fazit
Die Rückbildungsphase nach der Geburt ist eine entscheidende Zeit, um die Grundlage für langfristige Gesundheit und Fitness zu legen. Gezielte, sanfte Übungen sind der Schlüssel, um den Körper sanft zu heilen, den Beckenboden zu stärken und eine stabile Grundlage für spätere, intensivere Workouts zu schaffen. Mit Geduld und Konsequenz kannst du sicher und effektiv zu deiner "alten" Form zurückfinden – und vielleicht sogar darüber hinaus.
Literatur
Bø K., Sherburn M.: Evaluation of female pelvic-floor muscle function and strength. Phys Ther 2005. 85: 269–82
Mota P., Pascoal A., Carita A., & Bø K. (2015a). Prevalence and
risk factors of diastasis recti abdominis from late pregnancy to 6 months post-
partum, and relationship with lumbo-pelvic pain. Manual Therapy, 20(1), 200–
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